Elektroautos aus China: Neue Marken erobern Europa

Zählen Sie mal auf: Wie viele chinesische Autohersteller kennen Sie? Nio ist mit Sicherheit eine der bekanntesten Marken auf dem Markt. Polestar und MG sieht man häufig auf unseren Straßen. Und ja, die sind chinesisch. Genauso wie Volvo im Grunde inzwischen auch chinesisch ist – die Marke wurde 2010 vom chinesischen Geely-Konzern übernommen. MG war bis 2005 britisch und gehört jetzt zu SAIC Motor. Auch Smart ist inzwischen chinesisch – der #1 wird im Joint Venture mit Mercedes-Benz von Geely im chinesischen Xi’an gebaut. Marken wie BYD tauchen ebenfalls zunehmend auf unseren Straßen auf.
Wenn Sie sich für Autos und Elektromobilität interessieren, haben Sie vielleicht auch schon gelesen, dass der chinesische Xiaomi SU7 dem Porsche Taycan Konkurrenz macht – allerdings für weniger als die Hälfte des Preises. Der Yangwang U9 ist ein Supercar, das springen kann, und der Yangwang U8 kann sogar schwimmen. Werden solche Autos bald auch in Deutschland zu sehen sein? Revolutioniert China gerade den Automarkt? Und wie sollen wir damit umgehen?
Nicht nur Kundinnen und Kunden haben viele Fragen: etwa zur Qualität, zu Preisen, zum Händlernetz oder zur Garantie bei chinesischen Autos. Auch die Autoindustrie – und damit die Politik – wirkt oft ratlos, wie sie auf China als neuen Konkurrenten reagieren soll. Eine Antwort scheint zu sein, den europäischen Markt durch Zölle zu schützen. Ob das der richtige Weg ist? Und ob mein nächstes oder übernächstes Elektroauto aus China kommen wird?
Um ganz ehrlich zu sein: Dieser Artikel wird wohl nicht alle diese Fragen abschließend beantworten können. Dazu ist das Thema zu komplex und dynamisch. Diese Woche geben wir im ersten Teil einen Überblick über den aktuellen Markt chinesischer Hersteller und ihre in Europa verfügbaren Modelle.
Nächste Woche widmen wir uns in einem zweiten Teil dann den innovativen technologischen Entwicklungen aus China, der aggressiven Förderpolitik des chinesischen Staates und der europäischen Reaktion aus Politik und Wirtschaft. Mit diesem umfassenden Überblick können Sie sich hoffentlich eine fundierte Meinung zur neuen Elektromobilität aus Fernost bilden.
Vom Spottobjekt zum Wettbewerber: Chinas Aufholjagd in der E-Mobilität
Zunächst zu den Fakten: In den ersten vier Monaten 2025 lag der Marktanteil chinesischer Marken in Westeuropa bei nur 2,9 Prozent – in Deutschland sogar unter einem Prozent. Das ist weniger als der Anteil alleine der koreanischen Marke KIA, die im März 2025 etwa 3,8 Prozent der Pkw-Neuzulassungen in der EU stellte. Warum also die Aufregung?
Noch vor wenigen Jahren, Anfang der 2000er Jahre, wurden die ersten Auftritte chinesischer Hersteller wie Landwind oder Brilliance auf den Automessen von europäischer Konkurrenz und Presse belächelt. Die Fahrzeuge waren zwar günstig – um nicht zu sagen billig –, erinnerten im Design aber stark an längst veraltete europäische Vorbilder wie den Opel Frontera. Crashtests, wie der des Landwind durch den ADAC, zeigten katastrophale Ergebnisse. Dieses Bild prägt bis heute die Wahrnehmung vieler Europäer.

Bei klassischen Verbrennern konnten chinesische Marken nie wirklich mithalten. Doch der Wandel zur Elektromobilität hat das Spielfeld verändert. Hier agieren chinesische Unternehmen von Anfang an auf Augenhöhe und haben sogar Vorteile aufgebaut – unter anderem durch einen riesigen, staatlich geförderten Heimatmarkt und früh entwickelte Kompetenzen in der Batterietechnologie, der Softwareentwicklung und der Produktion. Während europäische Hersteller noch versuchen, ihre Verbrenner-Dominanz zu verteidigen, setzen chinesische Marken konsequent auf Elektroantriebe. Mit hoher Innovationsgeschwindigkeit und massiver staatlicher Unterstützung haben sie sich in kürzester Zeit vom belächelten Nachzügler zum ernsthaften Wettbewerber entwickelt.
Die neue Vielfalt: Welche chinesischen E-Autos gibt es in Deutschland?
Die Zeiten, in denen "Auto aus China" nur ein vages Konzept war, sind also vorbei. Eine ganze Reihe von Marken hat sich auf dem europäischen Markt etabliert oder steht kurz vor dem Markteintritt (Stand Mai 2025):
Nio: Premium-Angriff mit Akkutausch
Nio positioniert sich im Premiumsegment und fordert BMW, Audi und Mercedes heraus. Mit Modellen wie dem ET5 (auch als Kombi Touring), dem ET7 sowie den SUVs EL6 und EL7 adressiert Nio anspruchsvolle Kundinnen und Kunden. Besonderes Merkmal: Batteriewechselstationen (Power Swap Stations), die den Akku in wenigen Minuten tauschen.
NIO EL6 Long Range
- Leistung: 360 kW (490 PS)
- Verbrauch: 20,4 kWh/ 100 km
- Grundpreis: 74.500 Euro
Für günstigere Segmente sind von Nio die Submarken Onvo und Firefly im Anmarsch auf Europa.
BYD: Vom Batterie- zum Autogiganten
Hinter dem poetischen Namen Build Your Dreams steht ein chinesischer Auto Gigant, der vom Batteriehersteller zum weltweit größten EV-Produzenten aufstieg. Weltweit hat BYD im Jahr 2024 sogar mehr Autos verkauft als Tesla. So ist die Marke in Europa mit einer ganzen Reihe an Modellen präsent: Vom Kleinwagen Dolphin über den Kompakt-SUV Atto 3 bis zur Mittelklasse-Limousine Seal und dem SUV Seal U. Auch größere Modelle wie Han und Tang sind inzwischen in einigen europäischen Ländern verfügbar. BYD setzt stark auf seine selbst entwickelte LFP-Batterie-Technologie. In Deutschland tut man sich aber noch schwer. Hierzulande sind aktuell nur knapp 4500 BYD zugelassen. Grund ist, dass das Händlernetz begrenzt ist und die Markenbekanntheit noch nicht besonders hoch. In Zukunft will BYD nun sein Händlernetz selbst organisieren und ausbauen, um mehr Präsenz und Zugang zum deutschen Markt zu schaffen.

BYD Dolphin Comfort
- Leistung: 150 kW (204 PS)
- Verbrauch: 15,9 kWh/ 100 km
- Grundpreis: 32.990 Euro
GWM: Chinesische Technik für Deutschlands E-Auto-Markt
Noch so ein ulkiger Name: Great Wall Motors ist in Deutschland vor allem mit seiner Elektromarke Ora und dem auffälligen Kompaktwagen Ora 03 präsent. Das Modell kam zunächst als Funky Cat auf den deutschen Markt und setzt auf ein markantes Retro-Design mit Kulleraugen-Scheinwerfern. Man könnte ihm vorwerfen, den VW Käfer kopieren zu wollen. Schnell hat man bei GWM verstanden, dass in Europa Niedlichkeiten im Automobilmarkt wohl nicht so gut ankommen. Und auch wenn er auf den ersten Blick ulkig aussieht: Die technische Basis ist sehr solide und wird von BMW auch für den neuen elektrischen Mini Cooper SE genutzt. Für den Vertrieb und Service in Deutschland nutzt GWM das etablierte Händlernetz des Importeurs Frey, der auch Mitsubishi vertreibt.

GWM ORA 03 (63 kWh) GT
- Leistung: 126 kW (171 PS)
- Verbrauch: 16,8 kWh/ 100 km
- Grundpreis: 49.490 Euro
MG Motor: Erfolgreiches Konzept unter chinesischer Flagge
Die wiederbelebte britische Marke MG unter der Führung von SAIC Motors stellt mit dem MG4 Electric das meistverkaufte China-E-Auto in Deutschland. Den ersten elektrischen Kombi MG5 Electric haben wir auch schon in unserem großen Kombi-Überblick für sein Preis-Leistungs-Verhältnis gelobt. Sogar ein schicker sportlicher Roadster, der MG Cyberster, ist im Angebot und sorgt für die nötige Emotion im Angebot

MG Cyberster Dual Motor XPOWER
- Leistung: 375 kW (510 PS)
- Verbrauch: 19,1 kWh/ 100 km
- Grundpreis: 69.990 Euro
Geely-Konzern: Ein Imperium mit vielen Gesichtern
Geely agiert in Europa vor allem über bekannte Namen: Dazu gehört die Traditionsmarke Volvo, die unter Geelys Führung elektrifiziert wurde. Die rein elektrische Performance-Marke Polestar stellt in Europa bereits seit 2020 das Modell 2. Hier teilt man sich Technik und Designelemente mit Volvo. Produziert wird aber in China. Das Joint Venture mit Mercedes-Benz hat den Smart neu ausgerichtet und produziert die Modelle #1 und #3 in China. Mit Zeekr startet zudem eine weitere Premium-Elektromarke des Konzerns in Europa, die mit dem Shooting Brake 001 und dem Kompakt-SUV X auf Design und Technologie setzt. Auch die Marke Lynk & Co, bekannt für ihr Abo-Modell, gehört zum Geely-Universum.

smart #3 Premium
- Leistung: 200 kW (272 PS)
- Verbrauch: 16,3 kWh/ 100 km
- Grundpreis: 48.490 Euro
Neue Markenvielfalt aus China: Vom Billig-Stromer bis zum Elektro-Van
Neben diesen mehr oder weniger bekannten Playern drängen zahlreiche weitere chinesische Marken auf den europäischen Markt – teils mit klarer Fokussierung auf spezielle Nischen oder Preissegmente.
Leapmotor etwa versucht, mit dem günstigen Kleinstwagen T03 im Segment unter 20.000 Euro Fuß zu fassen und konkurriert damit direkt mit Modellen wie dem Dacia Spring. Den T03 haben wir bereits ausführlich im Artikel über Elektro-Kleinwagen beleuchtet.
XPeng ist ein weiteres Startup mit Ambitionen und bietet die Limousine P7 und das SUV G9 an. Der neue SUV G6 punktet mit moderner 800-Volt-Technik für schnelles Laden. XPeng legt einen starken Fokus auf Software und Assistenzsysteme und will sich als Technologieführer positionieren.
Die Marke Aiways war mit dem SUV U5 einer der früheren Pioniere, kämpft aber seit Längerem mit dem Aufbau eines stabilen Vertriebs- und Servicenetzes in Europa. Der Staatskonzern Chery plant seinen Europa-Start mit den Submarken Omoda (Fokus auf Crossover) und Jaecoo (eher robustere SUVs). Auch DFSK und dessen Elektro-Ableger Seres sind mit einigen Modellen, oft im SUV-Segment, vertreten. SAIC bringt neben MG auch die Marke Maxus nach Europa, die sich vor allem auf elektrische Nutzfahrzeuge und Vans wie den MIFA 9 konzentriert. Im Premium- und Luxussegment versuchen sich Marken wie HiPhi, bekannt für seine futuristischen Designs und Flügeltüren (Modelle X, Y, Z), oder Voyah (Dongfeng-Konzern) mit großen SUVs und Limousinen.
Nicht zu vergessen ist Xiaomi: Der Smartphone-Gigant hat mit der sportlichen Limousine SU7 sein erstes E-Auto vorgestellt, das in China für Furore sorgt und hohe Erwartungen weckt – ein Europastart ist wahrscheinlich, aber noch nicht terminiert. Diese Liste ist nicht abschließend und zeigt die enorme Dynamik und Breite des chinesischen Angebots.
Der deutsche Markt bleibt ein schwieriges Pflaster
Obwohl die Modellvielfalt aus China inzwischen recht groß ist, spiegelt sich das also im deutschen Straßenbild bislang kaum wider. Wie bereits erwähnt, lag der Marktanteil chinesischer Marken in Deutschland Anfang 2025 noch unter einem Prozent – deutlich weniger als in anderen europäischen Ländern. Das zeigt, dass wir Deutschen gegenüber chinesischen Autos noch zurückhaltender sind als andere Märkte. Der deutsche Autokäufer gilt traditionell ja als eher konservativ. Kein Wunder, sind wir doch unseren heimischen Marken wie VW, BMW oder Mercedes treu verbunden und stolz auf die deutsche Autoindustrie.
Diese starke Markentreue, kombiniert mit offenen Fragen zu Service, Qualität und Wiederverkaufswert bei neuen Anbietern aus China, dürfte die zögerliche Akzeptanz erklären. Marken wie MG oder Polestar, die bereits länger auf dem Markt aktiv sind und auf bekannte Namen sowie europäische Verbindungen und Kooperationen setzen, haben es tendenziell leichter als komplett neue Player wie BYD oder Aiways.

Der Preisvorteil: Aggressive Angebote dank massiver Förderung
Dabei locken viele chinesische E-Autos mit geringen Preisen und oft besserer Ausstattung als vergleichbare Modelle europäischer Hersteller. Warum aber sind sie so günstig? Zunächst einmal sind die Lohnkosten in China niedriger. Dazu kommt ein enorm großer Heimatmarkt: Viele chinesische Hersteller haben bereits großen Absatz auf dem Binnenmarkt, was durch hohe Stückzahlen die Produktionskosten weiter senkt.
Ein wesentlicher Faktor ist außerdem die massive staatliche Förderung in China, die über Jahre hinweg nicht nur den Kauf von E-Autos subventionierte, sondern auch die Produktion, Forschung und den Ausbau der Ladeinfrastruktur erheblich unterstützte. Diese umfassende Förderung ermöglichte es den Unternehmen, Skaleneffekte zu nutzen und Kernkompetenzen – insbesondere in der Batteriefertigung – frühzeitig aufzubauen.
Die EU wirft China vor, durch diese Subventionen den Wettbewerb zu verzerren, und hat deshalb Ausgleichszölle eingeführt, die den Preisvorteil schmälern sollen. Realistisch betrachtet bedeutet das: Während einige Modelle weiterhin preislich sehr attraktiv bleiben – besonders in Relation zur gebotenen Ausstattung –, rücken andere durch die neuen Zölle näher an die Preise europäischer Wettbewerber heran. Der reine Preisvorteil chinesischer Modelle ist also nicht mehr pauschal gegeben, sondern hängt stark vom jeweiligen Modell und der Höhe der Zollbelastung ab.
Preis, Politik und Perspektiven: Eine Zwischenbilanz
Trotz dieser komplexen Gemengelage und der bisher noch geringen Marktanteile in Deutschland ist klar: Die chinesischen Hersteller sind gekommen, um zu bleiben. Sie bieten eine beeindruckende Modellvielfalt und zwingen die etablierten europäischen Marken, zu reagieren.
Wie sich der Markt weiterentwickelt wird von mehreren Faktoren abhängen: Wie gut gelingt es den chinesischen Marken, Vertrauen bei den Käufern aufzubauen und Schwächen bei Service und Vertrieb zu beheben? Welche Auswirkungen werden die eingeführten Zölle langfristig haben? Und wie schnell können europäische Hersteller technologisch und preislich wieder aufholen? Diese Fragen – insbesondere die technologischen Aspekte, die Förderpolitik in China und die politischen Reaktionen Europas – aber auch einen Ausblick auf die Innovationen, die aus China kommen - werden wir im zweiten Teil dieses Artikels nächste Woche näher beleuchten.
Quellen
ADAC: NIO EL6 Long Range
ADAC: BYD Dolphin Comfort
ADAC: MG Cyberster Dual Motor XPOWER
ADAC: GWM ORA 03 (63 kWh) GT
ADAC: smart #3 Premium
Mobilitree: Chinesische Autohersteller in Europa: Marktanteil stagniert
Statista: Marktanteil der Automobilmarke Kia
elektroauto-news.net Sind die Chinesen die besseren Autohersteller?
focus mobility: Ora 03: Der Bruder des Mini Cooper.
FINN: Chinesische Automarken: Ein Überblick
mobile.de: Chinesische E-Autos 2025: Die spannendsten Modelle in Deutschland